Am 6. & 7. Juli 2009 fand in Hagen eine Expertenanhörung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), genauer der Kommission „Neue Medien und Wissenstransfer“, zum Thema „Web 2.0 – Herausforderungen und Chancen für die Hochschulen“ statt. Auch wir vom e2.0-Blog wurden zu dieser Anhörung eingeladen, da Marcel aber bereits ausgebucht war, nahm ich die Einladung dankend an. Hier nun meine Eindrücke und Notizen der zwei Tage:
Tag 1 begann mit der Begrüßung durch den Vorsitzenden der Kommission Prof. Dr. Joachim Metzner, der ebenfalls Vize-Präsident der HRK selbst ist. In seinen Ausführungen unterstrich er zugleich die Wichtigkeit der Anhörung, da das Thema Web 2.0 für die Kommission komplett neu erschlossen werden soll und anschließend an die Ausführungen der zehn Experten überlegt wird, inwieweit eine Empfehlung an die Rektoren verfasst werden soll. Die weiteren ständigen Mitglieder der Kommission sind Prof. Dr. Dr. Friedrich Hesse (Direktor des IWM, Uni Tübingen), Prof. Dr. Helmut Hoyer (Rektor der FernUni Hagen), Prof. Dr. Dr. Godehard Ruppert (Präsident der Uni Bamberg), Sandra Poltrock (Studentin der Uni Hannover) sowie Günter Scholz (Uni Hannover). Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurde die Reihenfolge der Experten festgelegt. Begonnen wurde mit der Thematik Social Networking.
Als Einstieg stellte Dr. Bernd Kleinmann (HIS-GmbH) Ergebnisse aus der Web-2.0-Nutzungsstudie von Studierenden in Deutschland vor, von denen ich bereits auf der „Campus Innovation 2008“ einen ersten Eindruck erhielt (hier meine Notizen von damals). Anschließend stellte Paul Dudek als studentischer Vertreter der Uni Bielefeld seine Erfahrungen mit dem Web 2.0 anhand des Leitfadens vor.
Nun folgten die m.E. sehr „werbelastigen“ Ausführungen des Geschäftsführers von StudiVZ Markus Berger-de León (eigentlich aber auch verständlich, oder?). Er stellte u.a. vor, dass in den drei VZs (SchülerVZ, StudiVZ & MeinVZ) bereits 10 Mio. Mails pro Tag unter den ca. 14 Mio. Nutzern versendet werden, dass der E-Mail-Versand von Info-Mails mit 100 Mio. pro Woche über dem Mailversand von GMX und Web.de läge und dass von ca. 6 Mio. Schülern bereits 5,3 Mio. in SchülerVZ anzutreffen seien (auf Nachfrage räumte er allerdings ein, dass hierbei durchaus auch Eltern & „Dateileichen“ dabei seien). Schlussendlich sind die VZs inzwischen in allen Altersgruppen vertreten, auch im Ü30-Bereich. Erwähnenswert finde ich noch die interne Bezeichnung von Spaßgruppen à la „Wer ist eigentlich Wikipedia und warum weiß der immer alles besser“ als „Autoaufkleber“ und das wiederholte Einblenden der Tweetdeck-Notification über neue Ergebnisse der Suche nach „Lokalisten“ auf Twitter während der Präsentation.
Es folgte nun die Präsentation von Simon Scholz (@der_mac) von Feki.de, einem eingetragenen Verein von Studierenden der Uni Bamberg, der u.a. eine auch von der Uni-Verwaltung inzwischen sehr geschätzte Informationsplattform etabliert hat. Die gerade überarbeitet Seite basiert auf Joomla und bietet den Studierenden angefangen von aktuellen Infos zum Studium bis hin zum Anlegen von Profilen alles rund um das Studentenleben in Bamberg – vollständig selbst finanziert und beruhend auf Eigeninitiative der Studenten.
Abgerundet wurde die Vortragsreihe des 1. Tages mit der Vorstellung der Internetplattform scholarz.net durch Daniel Koch. Die Plattform weckte großes Interesse bei mir, da es, v.a. an den wissenschaftlichen Nachwuchs gerichtet, das persönliche Wissensmanagement befördern soll. In Anlehnung an herkömmliche Literaturverwaltungsprogramme kann man in scholarz.net kleinste Sinneinheiten von Quellen anhand von Tagging und der Zuordnung in verschiedene Themengebiete verwalten. Diese Einheiten können dabei z.B. ein Satz, eine Idee, eine Skizze oder ein Bild sein. Ich werde in den kommenden Wochen auf jeden Fall einen Blick auf diese Anwendung riskieren und ggf. hier darüber berichten.
Tag 2 der Expertenanhörung war den Themen Wikipedia sowie der Meinung der Wissenschaftler zum Thema Web 2.0 gewidmet. Es begann Frank Schulenburg von der Wikimedia Foundation, der neben allgemeinen Nutzungsdaten, das „Bookshelf“-Projekt anriss, auf eine geplante „Medienkompetenz-Broschüre“ in Zusammenarbeit mit Hochschulen hinwies und ein erfolgreich gelaufenes Projekt an der FH Jena vorstellte, in dem rund 250 Studierende angeleitet durch den Dozenten Artikel der Wirtschaftswissenschaften überarbeiteten und hierfür auch eine Bewertung erhielten (20 dieser Artikel erhielten hierbei sogar das Prädikat „lesenswert“). Außerdem wies Schulenburg auf kulturelle Unterschiede zwischen der englisch- und deutschsprachigen Wikipedia hin, die sich u.a. dadurch äußern, dass Artikel in der deutschen Wikipedia in einem frühen Stadium schnell mal gelöscht werden, wohingegen in der englischen die Meinung vorherrscht einen solchen „unfertigen“ Beitrag erstmal drin zu lassen, da sich sicher jemand zur Überarbeitung finden wird. Der kulturelle Unterschied äußert sich überdies bei der Meinung hinsichtlich der Sichtbarkeit der Autorenschaft, welche sich v.a. die deutschen Autoren wünschen. Mathias Schindler von der Wikimedia Deutschland ergänzte noch, dass seines Erachtens die Wikipedia eher „ungewollt“ in die Web-2.0-Schiene geraden ist, denn das Wiki-Prinzip gäbe es bereits seit 1996, lang bevor Tim O’Reilly die Web-2.0-Prinzipien formulierte.
Den Abschluss der Expertenanhörung bildete die Meinung der geladenen Wissenschaftler zum Thema Web 2.0. Hier begann Dr. Jan Schmidt (@JanSchmidt) vom Hans-Bredow-Institut (Hamburg), der bereits über seinen Blog letzte Woche erfolgreich Meinungen für die Anhörung sammelte. In der Hoffung, dass er seine wirklich sehr aufschlussreichen Folien über Slideshare verfügbar macht, möchte ich hier nur unkommentiert die vorgestellten Prinzipien des Web 2.0 (angelehnt an ein Buch von Bruns 2009) vorstellen:
- Offenheit und Kollaboration
- Strukturiert, aber nicht strikte Hierarchie
- Prozesse statt Produkte
- Individueller Beitrag ohne individuellen Besitz
In der anschließenden Diskussion blitzte erstmals bei den Kommissionsmitgliedern ein meines Erachtens sehr kontrovers zum Thema Web 2.0 stehendes Paradigma durch. Für sie ist Wissen gleich Vorsprung/Macht, sozusagen „Wissenskapital“, das zu „Sozialkapital“ werden kann, wenn man z.B. Achtung durch (Mehr-)Wissen bei Anderen erzielen kann. Florian Meyer von der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“ (Bamberg), der direkt anschließend seine Ausführung vorstellte, wies darauf hin, dass im Web 2.0 der stark verbreitet „Wissenskapitalismus“ mit einem „Wissenskommunismus“ konfrontiert wird. Eine letztlich sehr spannende Diskussion, die aber leider nicht weitergeführt wurde.
Abschließend stellte ich meine nunmehr eher als Randbemerkungen zu bezeichnenden Ausführungen (da ja fast alles bereits gesagt wurde) anhand des Leitfadens vor. Ich betontet nochmals die Abkehr von Insellösungen hin zur Nutzung von Schnittstellen, gerade in Bezug auf Social Networks. Auch versuchte ich nochmals die Mehrdimensionalität der Web-2.0-Bewegungen zu skizzieren und deren möglichen Implikationen auf die Wissenschaft/Hochschulen darzustellen. Die Präsentation hierfür erstellte ich übrigens erstmals mit Prezi, sie kann hier aufgerufen werden.
Sobald mir genauere Ergebnisse und die weitere Vorgehensweise der Kommission bekannt sind, werde ich darüber hier im Blog natürlich berichten.
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besten dank für dieses protokoll, thomas! sehen wir es positiv: sie spüren, dass sich etwas unterschwellig verändert – auch wenn es nicht mit ihren prinzipien übereinstimmt. immerhin!
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Hallo Thomas,
ich würde für einen kritische Test von scholarz.net aus deinem 2.0-Hintergrund interessieren. Ich bin drin, aber etwas verloren. Wir kann ich das für meine Arbeit konkret nutzen? Womit soll ich anfangen? Warum KommerzVZ sich vor HRK präsentieren darf, verstehe ich nicht… Falls dein Test kommen sollte: please keep me updated.
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