Die Learntec ist gerade zu Ende gegangen – eine interessante und thematisch breitgefächerte Konferenz, die sich erstmals schwerpunktmäßig auf das Thema Lernen 2.0 ausrichtete. Und auch wenn nicht alle Vorträge und Sessions immer ganz unsere Erwartungen erfüllten und die Internet-Verfügbarkeit auf dem Messe-Gelände doch noch sehr ausbaufähig ist, um dem Web 2.0-Standard zu genügen, konnten wir vor allem für das geplante EduCamp neue Sponsoren gewinnen und wichtige Kontakte zu weiteren Interessierten und hoffentlich auch möglichen Referenten knüpfen. Außerdem trafen wir Jonathan, einen unserer Hauptverantwortlichen für das Sponsoring, und sein freedu -Team endlich mal in real-life und konnten uns ohne Skype austauschen. Ja, auch das Offline-Leben hat seine entscheidenden Vorteile 🙂
Wir besuchten am ersten Konferenztag u.a. die Session Didaktik 1 „Anthropologische und soziologische Aspekte des ‚Lebens‘ in Web 2.0 Umgebungen„. Prof. Marco Bettoni (Fernfachhochschule Schweiz, Brig) beschrieb in seinem Vortrag „Wissenskooperation mit Web 2.0„, dass in der heutigen Zeit vor allem das Problem bestünde, genügend Wissensfluss zu erzeugen. Deshalb entschied sich die Fachhochschule für den Aufbau eines Wissensnetzwerkes anhand des Ansatzes der Communities of Practice (CoP) nach Etienne Wenger. So entstand aus einer Forschungs- zunehmend eine Projekt-Community, die sich mit Hilfe des Einsatzes von Moodle, Foren, Wikis, Skype und Telefonkonferenzen organisierte. Web 2.0 könne damit als ein Instrument betrachtet werden, dass für die Tätigkeiten aller Wissens- oder Kopfarbeiter (nach Malik), die jeweils ihre eigene Arbeitsweise haben und eigene Methoden anwenden, eine Vereinheitlichung bzw. Vereinbarung sowohl in inhaltlicher, struktureller und methodischer Hinsicht ermöglicht.
Anschließend stellte Prof. Dr. Claudia de Witt (Fernuniversität Hagen) in ihrem Vortrag „Vom Mängelwesen zum Superhirn? Wissenserwerb und Kompetenzentwicklung durch Partizipation im Web 2.0“ heraus, dass Web 2.0 als neue soziale Nutzung des Internets verstanden werden könne, da der Mensch ein soziales Wesen sei, dass auf Kommunikation angewiesen, lernfähig und lernbedürftig sowie umweltgebunden aber auch weltoffen ist, sein Handeln damit also auf aktive Mitgestaltung abziele. Web 2.0 biete dafür partizipative Nutzungsformen, wie z.B. das Blogging, Tagging oder andere Möglichkeiten zur Teilhabe (z.B. Blog-Kommentare auch gleichzeitig als Qualitätskontrolle). Mit Hilfe von Social Software würde diese Partizipation im Gegensatz zur expertenbestimmten Open Source-Bewegung zunehmend dem einfachen User zugänglich und könne damit auch als entscheidender Bildungsfaktor betrachtet werden. Das Gelingen der Partizipation sei aber von der Mündigkeit der Nutzer, ihrer sozialen Kompetenz, der Kommunikation und der (Inter-)Kreativität abhängig. Das „Mängelwesen“ sei also durchaus fähig, zu einem „Superhirn“ Internet beizutragen.
*Interessante Links während des Vortrags: www.youteach.de; zur Teilhabe am Weltgedächtnis: http://beta.miomi.com mit virtueller Zeitleiste für wichtige historische Ereignisse oder http://www.memoloop.de für persönlich erlebte Geschichten, bei denen man Personen mit ähnlichen Erlebnissen finden kann.*
Schließlich widmete sich Prof. Dr. Rolf Schulmeister (Universität Hamburg) in seinem Vortrag „Wer sind die Net Geners?“ der entscheidenden Frage, ob man heutzutage von einer mit dem Label „Net generation“ versehenen Jugend sprechen könne oder nicht. Er kritisierte dabei die Standard-Werke, u.a. von Tapscott, Prensky, Oblinger usw. und mit Hilfe einer umfangreichen Studien-Analyse (u.a. ARD/ZDF-Langzeituntersuchung „Massenmedien“ sowie JIM- und KIM-Studie) machte er darauf aufmerksam, dass die heutige Jugend in diesem Netzzeitalter auf keinen Fall angekommen sei und die Internet-Nutzung weiter hinter der Rezeption der klassischen Massenmedien, wie Fernsehen und Radio, hinterherhinke. Der Computer würde bisher nur zu einem geringen Teil zum Arbeiten und Lernen genutzt und das Internet spiele eher für Kommunikation (v.a. E-Mail und Instant Messaging), Musik- und Filmrezeption eine größere Rolle. Man könne also nicht davon ausgehen, dass es sich um die so oft angepriesenen „Digital Natives“ handele. Resümierend hielt Prof. Dr. Schulmeister u.a. fest, dass die Beschäftigung der Jugendlichen mit Medien weiterhin ein integrierter Teil der Freizeit bliebe und dabei klassische Medien hohe Priorität hätten. Man müsse berücksichtigen, dass die zunehmende Konvergenz der Medien in Richtung Internet über die tatsächliche Nutzung von TV, Radio usw. hinwegtäusche. Der Hauptzweck der Medien bliebe die Kommunikation mit Peers aber ein wirklicher Transfer der erworbenen Kompetenzen auf das Lernen fände nicht statt und der Digital Divide sei weiterhin nicht aufgehoben. Abschließend betonte er, dass es bei der zukünftigen Mediennutzung vor allem um Souveränität ginge, also die Möglichkeit, frei zu entscheiden, wann und wo man arbeiten und lernen wolle.
Ich persönlich sehe hier vor allem Chancen für selbstgesteuertes und informelles Lernen im Umgang mit Web 2.0-Anwendungen bzw. Social Software und insbesondere E-Portfolios. Und auch wir können bei unserem Einsatz von Web 2.0-Technologien in den Seminaren immer wieder feststellen, dass ein Großteil der Studierenden solche Applikationen zuvor – wenn überhaupt – eher rezipierend nutzte oder sogar zum ersten Mal mit solchen Anwendungen konfrontiert wird. Erstaunlich ist aber, wie schnell sich die Mehrzahl der Studierenden an den Umgang mit solchen Tools anpassen, entsprechende Medienkompetenz erwerben und Spaß an der Arbeit und dem Lernen damit empfinden. Unter anderem deshalb bleibt festzuhalten, dass das Medium Internet und entsprechende Kompetenzen in Zukunft weiter massiv an Bedeutung gewinnen werden.
Außerdem gab es noch die spannende Podiumsdiskussion „St. Google und die Web-Drachen: Massenbewegungen und Informationsmonopole im Internet„, bei dem wir neben interessanten parallelen Gesprächen immer mal wieder ein paar Aussagen festhalten konnten. So erwähnte Dr. Andreas Goerdeler vom BMWi die These „The consumer is always right.“ Und dieser Consumer würde nunmal Google verstärkt nutzen. Trotzdem sei ein gesundes Misstrauen beim Umgang mit Informationen wichtig und man versuche über das Theseus-Projekt eine semantische Lösung zu schaffen, die mehr als nur eine Alternative zu Google werden könne. Prof. Dr. Dr. Hermann Maurer vom Know Center Graz mahnte, dass die Bedeutung des Internets unterschätzt würde und dass der Umgang mit diesem Medium so wichtig sei, wie die Schulpflicht oder bestimmte verschriebene Medikamente. Daher wäre es unbedingt notwendig, internationale Regularien für den Datenschutz zu finden. Prof. Dr. Joachim P. Hasebrook von der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr sieht besonders in den sozialen Netzwerken großes Potenzial, da sich hier Formen der Begegnungen im Vergleich zur realen Welt erheblich verändern würden. Man verfüge meist über viele Freunde im Netzwerk und könne als Knotenpunkt zunehmend bedeutsamer werden sowie eine Form von Berühmtheit erlangen. Sein äußerst passendes Statement dazu: „Wir sind schon mittendrin im Internet und nicht mehr nur davor.“ Mathias Schindler von der Wikimedia Deutschland e.V. in Frankfurt am Main empfand vor allem die zunehmenden Gestaltungsmöglichkeiten im Web als voranbringend. Besonders interessant sei es, in einer Diskussion im Netz selbst Impulse setzen zu können, bei der IT nur als Vehikel dient, um die Impulse zu transportieren. Auch Markus Rudert von der oneview GmbH in Köln sah vor allem die Vernetzung als das Spannendste, verbunden mit der Möglichkeit auf Informationen zuzugreifen, wann, wo und wie man möchte. Zum Abschluss ergänzte Moderator Joscha Remus von Movimento Media in Stuttgart ein schönes Fallbeispiel. Auch wenn Second Life doch zunehmend kritisiert würde, wäre es für ihn als Wissenschaftsjournalist, der immer viel unterwegs sein müsse, doch eine tolle Erfahrung in einem selbst definierten Raum, z.B. im virtuellen Barcelona, von einer spanischen Avatarin die Sprache zu erlernen.
[Update 2008-02-03]: Eine umfangreiche und kritische Zusammenfassung zur Google-Diskussion findet man auch im Uninformation-Blog.
Ein zentraler Diskussionspunkt, der alle Sessions durchzog, war zudem immer wieder die Problematik von Datenschutz und kompetentem Umgang mit Daten im Netz. Dies wird gerade für die Zukunft immer stärker an Bedeutung gewinnen, steht aber bisher leider meines Erachtens noch zu wenig im Fokus der Forschung. Daher sollte es auch für das EduCamp als Herausforderung stärker angepackt werden.
[Update 2008-02-03]: Weitere Berichte von der Learntec sind hier im e-Denkarium zusammengefasst.