Sind E-Portfolios nur etwas für leistungsorientierte Selbstdarsteller?

Am vergangenen Dienstag hatte ich die Gelegenheit, erste Ideen zu meinem Promotionsthema im Doktorandenkolloquium vorzustellen. Dabei bin ich auf die Ideen von E-Portfolios eingegangen, welche bisherigen Bestrebungen dazu vorhanden sind, welche Forschungsinteressen bestehen und schließlich, welche Ansätze man verfolgen könnte, um E-Portfolios einzusetzen.

Zum einen hatte ich mir dazu folgende Schwerpunkte überlegt, über die ich gerne diskutieren wollte und die auch teilweise berücksichtigt wurden:

  1. Welcher E-Portfolio-Ansatz ist der bessere?
    • offener Ansatz: unterschiedliche Tools; persönlich zusammengestellte Portfolio-Umgebung mit stärkerer Ähnlichkeit zum Personal Learning Environment (PLE) selbst; sehr lose und verteilte Struktur (siehe z.B. E-Portfolio mit Google Apps von Dr. Helen Barrett, University of Oregon)
    • geschlossener Ansatz: ein (Open Source-)E-Portfolio-Tool; eine integrierte Umgebung mit dem E-Portfolio als Teil des PLE; einheitliche und anleitende Struktur (z.B. Blog mit Profil, eLGG oder Mahara)
    • kombinierter Ansatz: ein einheitliches E-Portfolio-Tool anleitend ergänzt um unterstützende Tools; E-Portfolio = PLE!?
  2. Wie können E-Portfolios evaluiert werden (ähnlich wie Social Software / besondere Methoden erforderlich?)
  3. eAssessment: Wie können E-Portfolios ganzheitlich bewertet werden? (Durchschnitt aus den einzelnen Artefakten / Kriterienschema?)

Und zum anderen wurden auch spannende Kritikpunkte aufgeworfen, die mir bisher so nicht in den Sinn kamen und über die ich auch mit Euch sehr gerne hier weiterdiskutieren würde:

  1. Sind E-Portfolios eigentlich nur für leistungsorientierte Selbstdarsteller geeignet?
  2. Was sind daraus resultierend maßgebliche Gründe dafür, dass jeder ein E-Portfolio besitzen sollte (meine ersten Antworten dazu: langfristige Selbstreflexion und Dokumentation der Leistungen; kritischer und hilfreicher Input von außen; Darstellung der Kompetenzen und Leistungen gegenüber dem Arbeitgeber)?
  3. Wieso hält man E-Portfolios vorerst nicht weitestgehend anonym und gibt nur berechtigten Personen Zugang?
  4. Was ist mit einem vierten, quasi-geschlossenen Ansatz, der zwar die Nutzung verschiedenster Tools ermöglicht aber mit den Tendenzen zu OpenID einhergeht, um das Benutzername-/Passwort-Gewusel zu beseitigen?
  5. Problem der Sicherheit: Wie geht man mit der zunehmenden „Gefahr des gläsernen Menschen“ durch offen gelegte persönliche Daten um?
  6. Problem der Rechteverwaltung: Wie kann ich sicherstellen, dass der potenzielle Arbeitgeber nur die bestimmten Informationen aus meinem E-Portfolio erhält, die ich ihm präsentieren möchte? Er könnte sich ja auch verdeckt als ein Community-Mitglied ausgeben und so Dinge über mich erfahren, die ich ihm zunächst nicht preisgeben wollte.
  7. Welche Chancen bietet ein möglicher Einsatz von E-Portfolios vor allem im mobilen Bereich?

Welche Meinung habt Ihr zu dem einen oder anderen angesprochenen Punkt?

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Über Marcel

Dr. phil. Marcel Kirchner ist seit Januar 2018 bei der Continental AG im Bereich Group Functions IT als Solution Manager für Collaboration Applications tätig und beschäftigt sich hier vor allem mit dem Schwerpunkt Modern Workplace Learning sowie dem Einsatz von Social Collaboration-Tools als Service Owner für SharePoint Online im Zusammenspiel mit anderen Applikationen wie z.B. Microsoft Teams und HCL Connections. Bis Ende 2017 war er als Collaboration-Berater und Trainer bei der GIS AG beschäftigt und half dort beim Aufbau der Corporate Learning-Abteilung. Als Diplom-Medienwissenschaftler war Marcel Kirchner bis Februar 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promotionsstudent im Fachgebiet Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Ilmenau. Er beschäftigte sich hier mit dem Einsatz von Social Software und insbesondere E-Portfolios vor allem in der Hochschullehre.

11 Gedanken zu „Sind E-Portfolios nur etwas für leistungsorientierte Selbstdarsteller?

  1. Miriam Fischer

    Die drei Ansätze scheinen mir hier sehr auf die instrumentale Umsetzung reduziert und weniger auf die Zielsetzung: Was wird mit dem Portfolio angestrebt?

    Meine Gedanken zu
    1- Was heisst denn hier leistungsorientiert? Ist das der alte etwas platte Vorwurf: Du bist ein Streber?

    3 – warum denn anonyme Portfolios, wo es sich doch um ein sehr persönliches Instrument handelt, um die eigene Lernbiografie festzuhalten? Für mich ein Widerspruch.

    4. Der gläserne Mensch. Ich glaube, dass man diesem Konzept der Durchschaubarkeit, die auf einem Defizit basiert (nämlich der fehlende Schutz) ein neues Konzept entgegenhalten sollte/könnte. Ein lösungsorientiertes Konzept vielleicht der Transparenz, des Lernens-Voneinanders, und vor allem von einer neuen Fehler- und Lernkultur, die sich nicht nur an Leistung und Fehlerfreiheit, sondern auch an Reflexion des Weges orientiert, also am Prozess.
    Wenn es darum geht, Daten zu schützen, dann sind wir heute beriets meilenweit vor einer echten Privatheit weg. Wir reden hier immer noch von etwas, was wir längst nicht mehr besitzen. Meiner Meinung nach wird es Zeit, dass wir uns ernsthaft mit dem neuen Zustand beschäftigen.

    6. Das ist eine technische und eine ethische Frage, auf die ich jetzt keinen Vorschlag machen kann. Aber vielleicht gibt es bereits Antworten darauf.

    7. Die Chance liegt in der Konvergenz, im Sinne der Effizienz. Wenn ich mobil ebenso Zugang zu meinen Online-Daten habe, dann kann ich auch mobil produktiv sein. D. h. ich sammle mein material auch da, wo ich mich grad befinde. Das eröffnet einfach viele neue Perspektiven. Ich kann z. B. Dokumentationen u. a. per Bild sehr viel einfacher und effizienter herstellen. In meinen Augen liegt das Potenzial vor allem im Zusammenspiel von Mobile, PC, Print.

    Ich finde diese Diskussionen sehr interessant. Ich denke, dass sich da noch viele Perspektiven eröffnen, und wir uns andererseits auch von einigen heiligen Kühen verabschieden müssen z. B. unsere Privatheit. Wohl oder übel. Ich bin da sehr realistisch, bedaure das auch zu einem gewissen Teil. Aber ich bin sicher, dass wir einen Umgang z. B. mit privaten Daten brauchen, auch rechtlich, auch ethisch. Schon allein die Frage, was denn heute „privat“ sei, ist meines Erachtens noch offen. Im Moment verstehe iuch die Diskussion deisbezüglich so, dass lediglich festgestellt wird, was heutzutage Privatheit bedeutet.
    Miriam Fischer

  2. Marcel Beitragsautor

    Hallo Miriam,

    erstmal vielen Dank für Dein interessantes Feedback!

    Zu Deiner eingangs gestellten Frage: Im Wesentlichen sollen Studienanfänger erstmals ein eigenes E-Portfolio einrichten und über ihren gesamten Studienverlauf kontinuierlich weiterführen und verwalten. Es soll Auskunft über ihre sich verändernden Ziele, ihre Tätigkeiten und Lernergebnisse geben (z.B. als Profil- und Kompetenzseite) und reflektierende Inhalte enthalten, um somit auch Lernprozesse zu dokumentieren (z.B. im eigenen Blog). Damit dient das E-Portfolio letztlich auch als Bewerbung für potenzielle Arbeitgeber im späteren Praktikum oder Berufsleben.

    Ich erhoffe mir, dadurch Aufschluss über einen möglichen langfristigen Lernerfolg und ein motiviertes, kontinuierliches Informationsmanagement der Nutzer bzw. Lerner zu erhalten.

    Deshalb stehen sich vor allem die Ansätze gegenüber, ob man z.B. mit den verschiedenen Google-Diensten eine eigene E-Portfolio-Umgebung zusammenbaut, die zwar größere Freiheiten beim Einrichten und der Handhabung bietet aber sicherlich gerade am Anfang für ein großes Tool-Wirrwarr sorgt. Oder ob man eine einzelne E-Portfolio-Anwendung nutzt, die die Möglichkeiten durch Vorgaben des Tools zwar etwas einschränkt aber den Lerner an die E-Portfolio-Idee besser heranführt und ihn stärker leitet.

    Zu den anderen angesprochenen Punkten werden sich vielleicht ein paar der Diskussionsmitglieder aus dem Kolloquium äußern 🙂 Würde mich jedenfalls freuen, wenn wir die Diskussion hier etwas vertiefen könnten.

    Beste Grüße
    Marcel

  3. Miriam Fischer

    Hallo Marcel
    OK, ich verstehe die Herangehensweise jetzt besser, zur Tool-Frage. Meiner Meinung nach sollten die Studierenden ebenfalls kompetent genug sein, den Zugang zu ihren Unterlagen, Dokumenten, Dateien, Berichten etc. so zu bündeln und zu kommunizieren, dass potenzielle Leser/innen, seien es Lehrende oder künftige Arbeitgebende oder wer auch immer, den Zugang einfach und schnell finden. Tool-Diversität hin oder her.

    Ich würde heute einen konsequent lernenden-orientierten Ansatz wählen, dann kann man m. E. die Tools nicht so streng vorgeben. Man könnte ja Empfehlungen abgeben.
    Ich wünsche interessante Diskussionen und Veranstaltungen 🙂
    Schöne Grüsse, Miriam

  4. Anja

    Hallo Marcel,
    zum e-portfolio Ansatz: bei der verwendung von google, mahara und co macht man sich, meiner Meinung nach, zu sehr abhängig von den Anbietern. stellt einer den Dienst ein, ist mein kompletter Lernerfolg bzw. Dokumentaion verloren. Die Verfügbarkeit (evtl. sogar lebenslang) ist ein großes Problem!
    Die zwei Ziele Management des Lernens und Präsentation der Leistung vor dem Arbeitgeber sollte, meiner Meinung nach, getrennt werden. Die Präsentation von evtl. Mißerfolgen vor dem Arbeitgeber führt sogar zu einem Nachteil für E-Portfolio-Nutzer.
    Es ist genau abzuwägen, welche Inhalte offen stehen und welche anonym bleiben sollten. Ich habe zur Privatheit eine andere Meinung als Miriam. Mit der Offenlegung aller Privatheit besteht die gefahr, dass wir uns gleichzeitig der Offenheit des Internets verschließen. Wenn es genaue Profile über uns gibt, werden uns evtl. auch nur die Inahlte dargeboten von denen jemand/ein System „denkt“, dass es uns interessieren würde, alles andere wird ausgeblendet. Oftmals ist es aber genau das Zufällige, auf das man stößt, was uns weiterhilft.
    Vielleicht wäre es hilfreich, verschiedene Szenarien zu überlegen und jeweilige Vorteile und Nachteile abzuwägen.
    Wie du siehst, ist das Thema ganz groß mit Sicherheitsfragen verbunden 🙂 Ich bin gespannt auf weitere Diskussion.
    Anja

  5. Miriam Fischer

    @Anja
    Ich meine natürlich nicht, dass private Daten lebenslang offen gelegt werden sollen! Ich sagte lediglich, dass wir uns ernsthaft mit Privatheit (und damit natürlich auch Offenlegung) beschäftigen müssen. Ich glaube nur, dass dieser Begriff den heutigen Anforderungen nicht mehr genügt. Auch hier ist die Welt komplexer geworden.

    Und ich bin mit dir einverstanden, dass es möglich sein muss, dass die Dokumentation von Lernleistungen und Lernweg etc. je nach Zielpublikum verschieden offen gelegt wird. Dies bedeutet, dass technisch bestimmte Anforderungen an die Tools bestehen, was die Vergabe der Rechte anbelangt. Es gibt solche Tools, in denen ich sagen kann, wer z. B. zu meinen Freunden, wer zur Familie und wer zu meinem Business-Kreis gehört, und entsprechend kann ich dann Dokumente für alle oder nur für bestimmte oder nur für mich alleine freigeben.
    Ich muss also in meinem E-Portfolio ganz genau festlegen können, was User X und was User Y sehen darf und was nicht. ich denke, dass diese Aspekte im „alten“ Begriff „privat“ nicht mehr mitgedacht sind, vor allem dann, wenn man bedenkt, dass „privat“ immer „öffentlich“ gegenüber gestellt wird. Auch hier gibt es meiner Meinung nach heute mehr Aspekte als gerade nur zwei vollkommen gegenpolige, es gibt Zwischenstufen. Ich meine eben nicht, entweder nur das eine oder nur das andere!

    Grüsse, Miriam

  6. Imke

    Also, da meine provokative Frage (Sind e-Portfolios nur was für Selbstdarsteller und Strahlemann-Karrieren?) sogar als Überschrift Karriere gemacht hat, muss ich mich jetzt auch mal einmischen *g* dazu ersteinmal ein Zitat von Marcel zum Sinn und Zweck von e Portfolios:

    „meine ersten Antworten dazu: langfristige Selbstreflexion und Dokumentation der Leistungen; kritischer und hilfreicher Input von außen; Darstellung der Kompetenzen und Leistungen gegenüber dem Arbeitgeber“

    Für mich gibt es für mich zwei Funktionen von ePortfolios, die man deutlich abgrenzen sollen: zum einen a) den Lernprozess zu unterstützen, Ergebnisse und Reflexionen mit anderen zu teilen b)Ergebnisse des Lernprozesses (Abschlüsse, erfolgreiche Projekte) öffentlich darzustellen. Jetzt kann man argumentieren: ein Blog macht doch auch beides. Aber auch ein Blog wie dieser kommuniziert sicher nur bestimmte Aspekte des Lernprozesses..nämlich die, die irgendwie sozial erwünscht sind (innerhalb einer bestimmten Community). Gut, jetzt sagt man, unsere Ergebnisse sind für eine Community relevant und sozial erwünscht. Gibt es nicht aber auch (genug!) Fälle, in denen der Lernprozess nicht arbeitgebertauglich abläuft? Menschen, die nicht gerne wichtige Entscheidungen ihres Lebens an eine breite Öffentlichkeit weitergeben? Trotz meiner kritischen Stimme: weiterhin viel Erfolg 🙂 Ich würde mich freuen, wenn man die Einsatzszenarien für ePortfolios noch besser abgrenzt.

  7. mone

    hi, sorry wenn ich eure spannende diskussion mit einem themenwechsel und tipp unterbreche: zum thema e-portfolios und geeignete assessmentmethoden hat herr mayring ( – ja, das ist methodenmensch, der mit der qualitativen inhaltsanalyse 😉 ein sehr interessantes konzept der selfassessment entwickelt oder zumindest schon erprobt. Ich kann jetzt nicht garantieren, dass er dazu schon veröffentlicht hat, aber ich würde einfach mal nachfragen, wenn das interesse nachhaltig bestehen bleibt 😉
    grüßchens
    mone

    1. Marcel Beitragsautor

      Hallo Mone,

      vielen Dank für Deinen Hinweis! Ein Themenwechsel tut doch Diskussionen oft sehr gut 😉 Das Interesse an geeigneten Assessmentmethoden für E-Portolios ist, denke ich, im Moment wirklich enorm und es wäre klasse, wenn Du da Genaueres bei Herrn Mayring rausfinden könntest.

      Klasse, dass Du Dich auch zum EduCamp angemeldet hast! Vielleicht kannst Du dazu ja auch was vortragen, wenn Du magst? Und Herr Mayring und seine Kollegen/-innen sind natürlich auch herzlich eingeladen, damit man sich austauschen kann! Bei unseren Studis versuchen wir ein eAssessment im Moment über folgendes Bewertungsschema ihrer geführten Blogs: http://tutorblog.elearning2null.de/wp-content/uploads/2008/01/bewertungsschema-e-portfolio-weblog.pdf

      Viele Grüße
      Marcel

  8. mone

    hej danke – ja, interessting der Link!
    Wie ich sehe, ist das Konzept für eine Lehrveranstaltung (e-learning im Hochschulkontext) ausgelegt, und das spezielle Thema der Lehrveranstaltung hat auch direkt etwas mit den Medien zu tun, die sie verwendet. ich denke, das ist ehh genau der bereich, in dem solche e-portfolio/weblog-konzeptionen am besten funktionieren und dadurch, dass dort dann eben auch eine spezielle form der artikulation stattfindet, bekommt das ganze auch medienpädagogisch seinen wert, gefällt mir!
    (oder wie wir in Österreich sagen: echt klass!)
    servus
    mone

    kann man so einen weblog aus der lehrveranstaltung mal sehen oder habt ihr die „weggesperrt“ 😉

    1. Marcel Beitragsautor

      Hallo Mone,

      natürlich werden die Blogs weitestgehend offen geführt. Ein sehr schönes Beispiel sind die Blogs der “Reisegruppe”:
      http://judizee.edublogs.org/
      http://leale.edublogs.org/
      http://thecurious.edublogs.org/
      http://nina4.uniblogs.org/

      Alle etwa 130 Blogs kann man in den einzelnen Protopage-Accounts der Gruppen aufrufen, die hier zu finden sind: http://www.protopage.com/elearning2null#Home/Elektronische_Dokumente

      Freue mich auf Rückmeldungen bezüglich des Kontaktes zu Herrn Mayring 🙂
      Beste Grüße
      Marcel

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